- Benedikt von Nursia und die Grundlagen des abendländischen Mönchtums
- Benedikt von Nursia und die Grundlagen des abendländischen MönchtumsDas Bild, das man sich bis fast in die Gegenwart vom »Mönchsvater« Benedikt von Nursia gemacht hat, ist, wie wir heute wissen, großteils legendär. Sicher ist aber, dass von dem von Benedikt angeblich 529 errichteten Kloster Montecassino zwischen Rom und Neapel eine Form des christlichen Mönchtums ausstrahlte, die als »Ordo sancti Benedicti« (Abkürzung: OSB) das spirituelle Leben im Katholizismus zutiefst prägen sollte; die »Klosterregel«, die seinen Namen trägt, sollte zur Richtschnur für zahllose Gläubige bis in die Gegenwart werden.Die Mönche und Nonnen des frühen Mittelalters lebten nach vielen verschiedenen Regeln, beachteten aber alle Gehorsam, Keuschheit und persönliche Armut. Erst die Karolinger wollten eine Einheitsregel in sämtlichen Konventen ihres Reiches beachtet sehen. In ihrem Auftrag setzte der Grafensohn Witiza, später Abt Benedikt von Aniane (✝ 821), die »Benediktregel« als ausschließliches Klostergesetz durch, womit es bis ins späte 11. Jahrhundert in der westlichen Kirche keine anderen Mönche als die Benediktiner mehr gab. Erst die Kirchenreform im Zeitalter des Investiturstreits (11./12. Jahrhundert) führte zu neuen Gemeinschaften (darunter Zisterzienser, Kartäuser, Prämonstratenser) mit teilweise eigenen Regeln.Die fast ausschließlich kontemplativen Benediktiner beteten für sich und andere, und das war in einer Epoche, in der das göttliche Gericht nach dem Tod als Gewissheit galt, eine wertvolle Hilfe für den Einzelnen zur Erlangung des Himmelreiches. Daher rührte der enorme Reichtum der Klöster, denen die Laien unzählige Geschenke als Gegengabe für die erwarteten Gebetsleistungen machten, daher auch die Existenz so vieler Konvente, die vielfach von adligen Familien nur aus diesem Grund gestiftet wurden.Da sie die lateinische Sprache und antike Literatur wenigstens zu einem Teil als Basis für das Verständnis der Heiligen Schrift anerkannten, wurden die Benediktiner und Benediktinerinnen außerdem zu den wichtigsten Übermittlern der Texte und Bildformeln des antiken »Heidentums«. Ohne die Abschriften und Miniaturen der monastischen Schreiber wären heute die klassische Literatur der Antike und die spätantiken Traditionen der Buchmalerei so gut wie verloren.Fast die gesamte Theologie bis zum 12. Jahrhundert wurde von Angehörigen des Ordens bestimmt, aus dem so berühmte Autoren und Autorinnen wie der Philosoph Anselm von Canterbury oder die Visionärin Hildegard von Bingen hervorgegangen sind. Während in Spätmittelalter und früher Neuzeit die neuen Gemeinschaften größere Bedeutung erlangten, erlebten die Benediktiner erst wieder im 17. und 18. Jahrhundert eine Blüte, in der zum Beispiel in Süddeutschland und Österreich die berühmten Barockabteien entstanden (etwa Neresheim, Melk) und in Frankreich von der Mauriner Kongregation die Grundlagen einer wissenschaftlichen Geschichtsschreibung gelegt wurden.Zu den Kulturleistungen der Benediktiner im Mittelalter zählen reiche Kirchen und Klosteranlagen, Fresken und Glasmalereien, Handschriften und Gregorianische Musik, dies aber war nur ein Nebeneffekt ihrer religiösen Ziele: Alles sollte dem »Opus Dei«, dem Gotteslob dienen, das den klösterlichen Alltag in Form von Liturgiefeiern beherrschte. Vieles davon wurde auch von der Weltgeistlichkeit und den Laien übernommen. Doch hat benediktinischer Geist Europa über das Ordensleben hinaus geprägt. Ein wesentliches Element der »Benediktregel« ist die »Militia Dei«, der Kampf gegen den Teufel und die Laster. Die Überzeugung, ein religiöses Leben sei eine Art Kriegsdienst, wirkte sich nicht nur im kirchlichen Bereich etwa auf die Ritterorden in der Zeit der Kreuzzüge aus, sondern überhaupt auf das alteuropäische Glaubensverständnis, wie es etwa im erbitterten Kampf gegen Ketzer und Heiden seinen Ausdruck gefunden hat. Eine zweite im Regeltext betonte Weisung ist die des Gehorsams und der Demut. Die Bereitschaft, sich freiwillig unter- und einzuordnen, ist im Benediktinertum auf eine spiritualisierte Ebene gehoben und hat bis in weltliche Zusammenhänge hinein gewirkt. Ein dritter Grundzug ist die »discretio«, ein kluges Abwägen und Anpassen an die jeweiligen Erfordernisse anstelle einer starren Norm - sie ließ den Gehorsam erträglich und begründet erscheinen und kann als Vorläufer eines »humanistischen« Umgangs mit seinesgleichen angesehen werden. So hat wohl der Orden auch die profane Mentalität Europas stärker mitgeformt, als gewöhnlich angenommen wird.Prof. Dr. Peter DinzelbacherHage, Wolfgang: Das Christentum im frühen Mittelalter (476—1054). Vom Ende des weströmischen Reiches bis zum west-östlichen Schisma. Göttingen 1993.Kulturgeschichte der christlichen Orden in Einzeldarstellungen, herausgegeben von Peter Dinzelbacher u. a. Stuttgart 1997.Schmitz, Philibert: Geschichte des Benediktinerordens, 4 Bände. Aus dem Französischen. Einsiedeln u. a. 1947—60.Vogüé, Adalbert de: Die Regula Benedicti. Theologisch-spiritueller Kommentar. Aus dem Französischen. Hildesheim 1983.
Universal-Lexikon. 2012.